Der Tullner Karner
Der Karner in Tulln ist das kunsthistorisch bedeutendste Bauwerk der Stadt, für manche Kunsthistoriker gilt das im 13. Jahrhundert wahrscheinlich nach dem Vorbild des elfeckigen Kettendomes in Jerusalem errichtete Gebäude als schönster Karner Österreichs. Der Begriff Karner, auch Carnarium, steht für ein Beinhaus (Ossarium). Mancherorts hat die Anlage zwei Ebenen, die obere als Andachtsraum, die untere als Beinkeller, wie dies auch in Tulln zutrifft. Der Tullner Karner, auch Dreikönigskapelle genannt, wurde etwa 1240, während einer wirtschaftlichen Blütezeit der Stadt, fertiggestellt. Als Bauherr gilt der letzte Babenberger-Herzog Friedrich II., der Streitbare.
Romanische Baukunst
Der Karner liegt direkt hinter der Stadtpfarrkirche St. Stephan und ist ohne Zweifel ein Juwel der spätromanischen Baukunst, das in ganz Europa seinesgleichen sucht – das bestätigt auch die kunsthistorische Literatur. Sein Obergeschoß hatte als prunkvolle Sakralraum eine wichtige Funktion.
Beinhaus und Kapelle
Das Untergeschoß des Karners diente bis 1785 als Beinhaus für die exhumierten Gebeine des Friedhofs, der die Stadtpfarrkirche damals noch umgab. Sein Obergeschoß ist eigentlich eine Friedhofskapelle. Zu ihrem Eingang führt eine im Viertelbogen wiederhergestellte Freitreppe. Der Eingang des Karners ist ein Juwel für sich: Das prachtvolle romanische Trichterportal zieht den Besucher förmlich ins Innere und damit in längst vergangene Zeiten.
Babenberger Friedrich II.
Der Babenberger-Herzog Friedrich II. ließ den Tullner Karner als Teil seines umfassenden Bauprogramms zu dieser Zeit errichten, um seine politischen Ambitionen zu unterstützen. Der Grundriss des Karners ist 11-eckig, eine Form, die wahrscheinlich auf einen Sakralbau in Jerusalem zurückgeht. Die Apsis ist nach Osten ausgerichtet. Das Portal, das üblicherweise nach Westen orientiert wurde, ist jedoch nach Nordwesten verschwenkt, nämlich in Richtung der heutigen Wiener Straße, schon damals die Ost-West-Achse der Stadt. Zur Bauzeit des Karners bestand der gotische Hochchor der Stadtpfarrkirche noch nicht, weshalb der Blick auf das prachtvolle Portal frei war.
Juni bis September steht der Tullner Karner interessierten Besucherinnen und Besuchern in Begleitung geschulter Guides zur Besichtigung zur Verfügung!
Dreikönigskapelle
Seit seiner Erbauung um 1240 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts diente der Karner der Gemeinde als Friedhofskapelle, die den Heiligen Drei Königen geweiht ist – daher wird der Tullner Karner auch Dreikönigskapelle genannt. In der Kapelle wurden die Totenmessen gelesen, die Krypta hatte die Funktion des Beinhauses. Der Karner ist innen rund und überkuppelt. Die zum Licht der aufgehenden Sonne orientierte Ost-Apsis zeigt Christus als Weltenherrscher, den Erzengel Michael als Drachentöter und Heiligenfiguren in mittelalterlicher Darstellung.
Die Krypta
Das Untergeschoß des Karners diente bis ins 18. Jahrhundert als Beinhaus, in dem die exhumierten Knochen aus dem um die Pfarrkirche bestehenden Friedhof deponiert wurden. Im 19. Jahrhundert wurden wahrscheinlich auch die nach Auflassung des Tullner Frauenklosters gesammelten Gebeine aus der Habsburgergruft in der Krypta beigesetzt. Die Konstruktion und Bauweise des Gewölbes der Krypta ist ein eindrucksvolles Zeugnis mittelalterlicher Bautechnik.
Romanisches Trichterportal
Besonders das original erhaltene Trichterportal gilt als Juwel der romanischen Baukunst. Der Der Karner ist von deutsch-französisch-normannischen Handwerkern aus Greifensteiner Sandstein erbaut worden. Die begehrte Bauhütte, die vorher in Ungarn tätig war, musste nach dem Einfall der Mongolen 1241/42 nach Österreich fliehen und trat hier in den Dienst der Babenberger. Ausgehend vom Karner in Tulln lassen sich ähnliche Gestaltungselemente beim Karner in Mödling, beim Brauttor in Wiener Neustadt und beim Riesentor von St. Stephan erkennen. Die fein gestaltete Ornamentik des Tullner Trichterportals zeugt von der hoch entwickelten Handwerkskunst dieser Steinbildhauer.
Wandmalereien
Die Wandmalereien im Innenraum erzählen zahlreiche Geschichten: Hat man die Apsis im Rücken, so sieht man rechts, auf der Seite des Guten, die klugen Jungfrauen aus dem Evangelium, ihre Ölkrüge sind voll, sie tragen sie mit der Öffnung nach oben. Auf der linken Seite erkennt man die törichten Jungfrauen, die das Öl vergossen haben, sie werden von den Teufeln in die Hölle geführt. Weitere Darstellungen sind unter anderem die Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige und die Hl. Katharina. Die immer wieder vorkommenden Kronen bei den Figuren weisen auf die politischen Anbitionen Friedrich II. hin, der König von Österreich werden wollte.